d) Keine Kunstfreiheit für Russen?



Befeuert durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine häufen sich anscheinend Fälle, in denen Werke russischer Künstler aus den Bibliotheken entfernt, das Engagement von Dirigenten, Sängern, Balletttänzern beendet oder russische Schriftsteller ausgeladen werden. Wenn aus der Kunstfreiheit auch kein Anspruch auf öffentliche Anstellung (oder Ausstellung) folgt, so sind die Entlassung, Ausladung oder die Entfernung von Werken aus dem öffentlichen Raum Eingriffe in die Kunstfreiheit und dürfen schon wegen Art. 3 III GGnicht allein an der Herkunft eines Künstlers ausgerichtet werden. Ebenso wenig kann von russischen Künstlerinnen und Künstlern etwa ein „Abschwören“ von der Politik Putins oder ein Bekenntnis zur westlichen Lebensweise, Demokratie oder zu Verfassungsgrundsätzen verlangt werden. Anders kann es sich nur verhalten, wenn ein betroffener russischer Künstler aktiv und engagiert für die menschenverachtende und völkerrechtswidrige Politik Russlands Stellung bezieht oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Westens und dessen zentrale Werte öffentlich ablehnt.

Fall 4: Die russische Chefdramaturgin eines deutschen städtischen Theaters hat sich mehrfach als glühende Putin-Verehrerin bekannt und hält den Angriffskrieg gegen die Ukraine zur Verteidigung Russlands gegen den „dekadenten Westen“ für gerechtfertigt. Auch ist sie zum Dienst mehrfach mit einem aufgedruckten „Z“, dem Siegeskennzeichen der russischen Armee, auf dem T-Shirt erschienen. Ihr wird nach erfolgloser Abmahnung gekündigt. Den übrigen gleichfalls russischen Mitgliedern des Ensembles wird dasselbe in Aussicht gestellt, falls sie sich nicht dezidiert von Putin und der russischen Politik distanzieren. Hätten auf die Kunstfreiheit gestützte Verfassungsbeschwerden Aussicht auf Erfolg?

Lösungsvorschlag: Betroffen sind, was die berufliche Existenz angeht, Art. 12 GG, was die künstlerische Entfaltung angeht, Art. 5 III Var. 1 GG. Der Eingriff in die Kunstfreiheit kann durch den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und dessen Begründung verstoßen nicht nur elementar gegen völkerrechtliche Grundsätze. Der Hinweis auf die „dekadente“ westliche Kultur zeigt zudem die grobe Ablehnung zentraler verfassungsrechtlicher Werte, die auch für angestellte Künstler nicht hinnehmbar ist. Ein Bekenntnis gegen eine bestimmte Politik kann allerdings nicht verlangt werden. Hierin läge selbst ein Verstoß gegen Art. 5 I GGund bei einer tatsächlichen Entlassung ein Verstoß gegen Art. 5 III Var. 1 GG. Aussicht auf Erfolg hätten also (nur) die Verfassungsbeschwerden der übrigen Ensemble-Mitglieder.

(JuS 2022, 897, beck-online)

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